Was uns die Fleisch-Zukunft bringt

Über die Feiertage habe ich endlich Zeit gefunden, mich durch den aktuellen Foodreport 2023 des Zukunftsinstituts zu lesen. Die Autorin Hanni Rützler hat in dieser Ausgabe einen Themenschwerpunkt auf den Fleischkonsum der nächsten Jahrzehnte gelegt. Dabei zeigt sich eines ganz klar: Die kulinarische Zukunft gehört der Nachhaltigkeit und in der Fleischindustrie rollt gerade eine Revolution an!

Hanni Rützler ist eine österreichische Ernährungswissenschaftlerin und Expertin für Food-Trends, Ernährung und Gastronomie. Sie ist Gründerin des Futurefoodstudio und veröffentlicht unter anderem den jährlich erscheinenden Foodreport. Darin spürt sie aktuellen Konsumtrends nach, zeigt auf, was wir künftig essen und gibt einen interessanten Einblick in den Wandel der Esskultur.

Ethische Argumente als Treiber für eine fleischfreie Ernährung

Auch im neuen Jahr zeigt sich ein klarer Trend zu einem geänderten Fleischkonsum. Waren es früher vorwiegend gesundheitliche Gründe, auf Fleisch zu verzichten, sind es inzwischen zunehmend ethische Motive. Nachhaltigkeitsthemen wie Klimawandel oder Massentierhaltung samt der umweltschädlichen Tierfutterproduktion spielen laut Rützler verstärkt eine Rolle.

Der Anteil an Vegetariern und Veganern nimmt unter der jungen Generation genauso zu wie die Flexitarier.

Vor allem bei der jüngeren Generation ändert sich der Fleischkonsum rasch. Eine aktuelle Studie der Universität Göttingen 1) zeigt, dass mittlerweile 40% der jungen Erwachsenen ihren Fleischkonsum kritisch hinterfragen. 12% konsumieren gar kein Fleisch mehr und ernähren sich vegan oder vegetarisch. Bei den Frauen sind es gar 17%. Und knapp 24% der jungen Erwachsenen bezeichnen sich selbst als Flexitarier:innen, die zwar Fleisch konsumieren, dies jedoch selten tun. Bei jungen Frauen ernährt sich fast jede Dritte flexitarisch.

Die Nahrungsmittelindustrie ist längst auf diese Entwicklung aufmerksam geworden. Hanni Rützler beschreibt im Foodreport die fortschreitende Forschung und Produktion von immer besseren Fleischalternativen. Das Zielpublikum für diese tierfreien Lebensmittel sind vor allem Flexitarier:innen und damit eine stark wachsende Konsumentengruppe (hier kannst du erfahren, warum Flexitarier:innen ein unterschätzter Umsatzfaktor sind). Bereits die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen gibt an, in den letzten drei Monaten bewusst ein pflanzliches Alternativprodukt konsumiert zu haben. Besonders beliebt sind dabei Hafer- oder Sojamilch und vegetarische Fleisch- und Wurstalternativen 2).

Doch warum fällt uns Menschen die Ernährungsumstellung oder ein Verzicht auf Fleisch eher schwer? Rützler weist darauf hin, dass eine Ernährungsumstellung auf Fleischalternativen durch die menschliche Sozialisierung mit dem Geschmack von Fleisch ausgebremst wird. Wir kennen es so und ändern Gewohntes nur ungern. Produzenten von vegetarischen oder veganen Ersatzprodukten legen daher den Fokus auf immer bessere Produkte, die bei Geschmack, Konsistenz und Form dem Fleisch möglichst ähnlich sein sollen.

Menschen kaufen und konsumieren eine vegane Wurst, weil eine Wurst etwas Vertrautes ist, das sie seit jeher kennen. Daher werden wir auch zukünftig Fleisch und Wurst konsumieren, auch wenn die Rohstoffe dafür nicht mehr immer nur vom Tier stammen.

Die Rohstoffe der Zukunft

Die vegane Kost gilt laut Rützler zunehmend als Leitfaktor, wenn es um Nachhaltigkeit bei der Ernährung geht. Dabei bedeutet vegan zukünftig nicht unbedingt eine Fokussierung auf Gemüse und Hülsenfrüchte. Denn Fleischalternativen auf pflanzlicher Basis werden immer mehr zur nachhaltigen und ethisch vertretbaren Alternative. Und durch immer bessere Produktionsverfahren beinhalten diese Lebensmittel kaum mehr Zusatzstoffe als herkömmliche Wurst- und Fleischwaren.

Fleisch aus dem Labor

Hanni Rützler gibt im Foodreport einen spannenden Einblick in eine Welt, die für uns heute vielleicht noch utopisch klingt und mit einem gewissen Ekelgefühl verbunden ist: Cultured Meat oder „Laborfleisch“. Dabei ist die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich schon längst Wirklichkeit und sogar recht fortgeschritten. In ersten Pilotanlagen wird kultiviertes Fleisch aus Zellkulturen hergestellt, welches auch für den Verzehr zugelassen ist. Technologieunternehmen auf der ganzen Welt forschen intensiv an der Wettbewerbsfähigkeit. Ab dem Jahr 2030 soll dem Foodreport nach der Eintritt in den Massenmarkt erfolgen. Schneller als gedacht könnte also das Steak aus dem 3D-Drucker auf unseren Tellern landen.

Auch wenn „Laborfleisch“ für viele heute kaum vorstellbar ist, zeichnet sich hier ein Zukunftsmarkt ab. Denn damit lassen sich nach Rützler ethische, ökologische und klimarelevante Aspekte vereinen. Und da für Laborfleisch keine Tiere getötet werden, kann diese Form von Fleisch auch für jene Menschen interessant werden, die aus ethischen Gründen den Fleischkonsum eingeschränkt oder eingestellt haben.

Präzisionsfermentation

Mit der Präzisionsfermentation kündigt Rützler eine Technologie an, die das Potenzial hat, den Lebensmittelmarkt ordentlich auf den Kopf zu stellen. Dabei handelt es sich um die künstliche Produktion tierischer Rohstoffe wie Fleisch oder Milch unter Mithilfe genetisch veränderter Mikroorganismen, wie es in der Pharmaindustrie zur Medikamentenherstellung längst Standard ist. Die Präzisionsfermentation soll zu geschmacklich noch besseren oder sogar identischen Ergebnissen führen, ganz ohne Tierzucht. Fleischalternativen werden somit dem Original immer ähnlicher. Bis in zehn Jahren soll dieser Technologie der Durchbruch gelingen und somit zu einer wichtigen Säule für die Produktion tierfreier Lebensmittel werden.

Insekten und Algen

Aquakulturen mit Meeresalgen zählen heute zu den am schnellsten wachsenden Lebensmittelsektoren. Algen liefern eine Vielzahl an Nährstoffen und sind wichtige Geschmackslieferanten. Ihr Anbau im Meer kann unter ökologisch gut vertretbaren Bedingungen erfolgen. Hanni Rützler zeigt spannende Produkte auf, bei denen Algen als Rohstoff Verwendung finden: Burger-Pattys, als Salat oder in pflanzlichen Fischalternativen. So lassen sich „Thunfisch“ oder „Lachs“ auf pflanzlicher Basis hochqualitativ mit Algen herstellen.

Während Insekten in vielen Teilen der Welt wichtige Proteinquellen sind, dominiert in unseren Breitengraden nach wie vor der Vorbehalt gegenüber Raupen, Larven, Heuschrecken und Co. Dabei ist ihre Aufzucht wesentlich effizienter und ökologischer als jener von Schweinen und Rindern.

Insekten werden etwa in Burger-Pattys oder als Proteinriegel angeboten – also in Form verarbeiteter Lebensmittel, bei denen das Ausgangsprodukt nicht mehr erkennbar ist. Und da die jüngeren Generationen immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen, werden Insekten nach Hanni Rützler zukünftig auch bei uns in Europa einen immer größeren Stellenwert einnehmen.

Und was bleibt vom Fleisch?

Rützler ist sich sicher, dass wir aus ökologischer, gesundheitlicher und ernährungspolitischer Sicht den Fleischkonsum in den Industrienationen deutlich reduzieren müssen. Diese Tatsache sei mittlerweile auch bei einem Großteil der Konsument:innen angekommen. Die Entwicklung von Fleischalternativen wird uns dabei helfen und zugleich die Produktion tierischer Lebensmittel verändern – weg von der Massentierhaltung hin zu „nachhaltigerem Fleisch“.

Umsatzprognose bis 2040 für Fleisch und Fleischersatzprodukte

Durch eine reduzierte und dafür hochwertigere Tierzucht bleiben nach Rützler mehr Bodenressourcen für den Anbau pflanzlicher Lebensmittel übrig. Zudem steigt – durch bessere Haltungsbedingungen und besseres Futter – die Qualität des Fleisches. Fleisch wird auch zukünftig nicht von unseren Tellern verschwinden, es wird aber einen neuen Stellenwert bekommen. Und schlussendlich darf auch nicht vergessen werden, dass die Landwirtschaft und die Tierzucht einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität leisten und Ackerbau oftmals erst durch Tierhaltung überhaupt möglich wird.

Der Einfluss auf die Gastronomie

Die Umstellung der Lebensmittelproduktion und die damit einhergehende Akzeptanz und Gewöhnung der Kunsument:innen an Fleischalternativen wird auch vor der Gastronomie nicht haltmachen. Schon heute werden in den Küchen vegetarische oder vegane Gerichte gezaubert, die ganz ohne Fleisch auskommen und trotzdem richtig gut schmecken.

Vegan interpretierte, traditionelle Speisen werden dem Foodreport nach zukünftig zu einem selbstverständlichen Teil unserer Esskultur werden. Dabei werden Ersatzprodukte für Eier, Käse, Fleisch und Wurst eine Rolle spielen. Es müssen aber nicht unbedingt technisch hochverarbeitete Rohstoffe verwendet werden. Pilze, Kräuter, Hülsenfrüchte oder Algen sind schon heute wichtige Zutaten, die geschmacklich überzeugen und mit denen Fleisch ersetzt werden kann. Außerdem bietet unsere traditionelle Küche zahlreiche Speisen, die immer schon vegan zubereitet wurden.

Fazit zum Foodreport

Hanni Rützler beschreibt spannend und auf wissenschaftlicher Basis die Zukunft des menschlichen Fleischkonsums. In den nächsten Jahrzehnten geht es der Autorin nach weniger um die Frage, ob wir Fleisch essen, sondern welches. Die Entwicklung immer neuer Fleischalternativen aus Pflanzen, Insekten, Algen oder aus dem Labor ist voll im Gange.

Waren früher vor allem gesundheitliche Motive die Treiber für einen vegane oder vegetarische Ernährung spielen heute tierethische Aspekte und der Klimaschutz eine entscheidende Rolle. Vor allem die junge Generation hinterfragt den Fleischkonsum massiv.

Fleisch wird nicht von unseren Tellern verschwinden. Fleisch wird jedoch wieder mehr zum hochwertigen Lebensmittel, das weniger oft, dafür mit besserer Qualität konsumiert wird. Das wird sich auf den Preis auswirken, hochtechnisch hergestellte Fleischalternativen werden Fleisch aus dem Billigsegment verdrängen.

Die Gastronomie wird sich dem geänderten Bewusstsein und den neuen Bedürfnissen der Konsument:innen anpassen müssen. Neben dem Umgang mit vielfältigen Fleischalternativen braucht es auch Geschick und Kreativität bei der „Veganisierung“ klassischer Fleischgerichte.

Zum Foodreport 2023

Quellenangabe:
Hanni Rützler, Wolfgang Reiter, Foodreport 2023, Zukunftsinstitut GmbH, Frankfurt a. M., 2022, ISBN 978-3-945647-89-9

1) Zühlsdorf, Anke; Jürkenbeck, Kristin; Schulze, Maureen; Spiller, Achim (2021): Politicized Eater: Jugendreport zur Zukunft nachhaltiger Ernährung. Wissenschaftliche Studie der Zühlsdorf und Partner Marketingberatung und des Lehrstuhls „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ der Universität Göttingen
2) Statista (2021), Pflanzliche Alternativ-Produkte sind jetzt Mainstream, Statista Global Consumer Survey, 12.2021

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Über den Autor

Tobias Rümmele ist seit seinem 5. Lebensjahr überzeugter Vegetarier. Überzeugt ist er auch davon, dass in der Gastronomie noch viel Potenzial für ein besseres, fleischfreies Angebot steckt. Dazu reichen oft schon kleine Maßnahmen, um Menschen, die auf Fleisch verzichten, zu begeisterten Gästen zu machen.

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